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Schmidt (Siegen) - Sellinat - Ziegler - Kassner

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Hinweis

 

Der Name Sellinat gehört mit 12 Einträgen 2012 und mit 5 Einträgen 2023 in das deutsche Telefonbuch zu den seltenen Namen in Deutschland. Er geht auf den litauischen Namen Sellennaitis zurück. Walluttis Sellennaitis hieß im 17. Jahrhundert der älteste Vorfahr der Namenslinie Sellinat, den ich in den Kirchenbüchern des Kirchspiels Kaukehmen im Kreis (Elch-)Niederung im nördlichen Ostpreußen nachweisen konnte. Weiter reichen die Kirchenbücher dort nicht zurück.

Unser „Ursellinat“ hat in dem Dorf Sellen bei Kaukehmen ca. 22 km westnordwestlich von Tilsit gelebt. Ich nehme an, dass dieses Dorf Sellen aus einer Ansiedlung einer Familie Sellennaitis entstanden ist, denn etwa zwei Drittel aller Ortsnamen des Memelgebietes sind ihrem Ursprung nach lediglich flektierte Personennamen.(1) Hier haben die Familien einzelner Siedler eine wichtige Rolle bei der Namensgebung ihrer Siedlungsgründungen übernommen. Das Dorf Sellen ist inzwischen erloschen: es war am Ende des 2. Weltkriegs zerstört und nicht wieder aufgebaut worden.(2) 

 

  • Der Name Sellennaitis ist in den Kirchenbüchern und in anderen Quellen in vielen verschiedenen Schreibweisen zu finden: z. B. mit „ll“ oder „l“, mit „ei“ oder „ai“, aber auch ohne „is“ oder mit „te“ am Ende. Insgesamt gibt es in dieser Familienforschung den Namen Sellinat in den folgenden Schreibweisen:

• Selenait

• Selenaite

• Selenaitike

• Selenat

• Selenate

• Selenatike

• Sellenait

• Sellenaites

• Sellenaitike

• Sellenaitikke

• Sellenaitis

• Sellenat

• Sellenate

• Sellenatis

• Selleneit

• Selleneitene

• Selleneitis

• Sellennaitis

Diese Vielfalt liegt zu einem großen Teil an der Schreibunsicherheit der Kirchenbuchführer und Schreiber: Rechtschreibung in unserem Sinne gab es noch nicht, und mundartliche Einwirkungen führten immer wieder zu leichten Namensänderungen. Auch erfolgte die Eintragung der Namen in Urkunden und Registern bis ins 19. Jh. hinein fast nie nach Einsicht urkundlicher Unterlagen, sondern nach mündlicher Angabe: Das Gemeindemitglied nannte dem Kirchenbuchschreiber seinen Namen, und dieser schrieb das auf, was er hörte. Wir finden daher oft zahlreiche Namensvarianten selbst in ein und derselben Niederschrift. Der Name eines Vaters kann bei der Geburt verschiedener Kinder in unterschiedlicher Schreibweise eingetragen sein: z.B. Jurgis Selenait *15.04.1795, als Vater der Maryke im Kirchenbucheintrag vom 09.01.1823 ‚Sellenaitis’, als Vater des Kristups im Eintrag vom 16.03.1835 ‚Sellenat’.

 

In den mir bekannten Quellen und Quellenforschungen hatte der Name Sellennaitis in seinen ursprünglichen Formen im 18. und 19. Jahrhundert seinen Verbreitungsschwerpunkt im südlichen Litauen und im nördlichen Ostpreußen. Er ist im Wörterbuch der litauischen Familiennamen (3) auch belegt für Klaipeda (Memel) und Silute (Heidekrug). In den Kirchenbüchern der evangelischen Kirche Kaukehmen und in anderen Arbeiten taucht dieser Name insgesamt eher selten auf: Es scheint mir ein eher weniger gebräuchlicher Name gewesen zu sein.

Die Namen auf -aitis oder -atis verdanken ihre Entstehung der einstigen Verwendung dieses Suffixes zur Bildung von Patronymika (4). In den Kaukehmer Kirchenbüchern sind sie vor allem in der schriftlitauischen Form –aitis und der mundartlichen monophtongisierten (5)  Form –atis zu finden. Bei Mädchennamen entspricht dem das Suffix -atene, -atikke, -ate. Um 1850 verlor das Suffix -aitis im Mittellitauischen seine Funktion zur Patronymikabildung. Das Patronymikon wurde als Endung -at in den Namen der Väter zum festen Namensbestandteil. (6) 

So tauchte der heutige Name Sellinat zuerst bei Kristups Sellenat/Selleneit/Sellinat auf, der um 1860 nach Westpreußen auswanderte: Im Taufregister der evangelischen Kirche Kaukehmen ist er 1836 als Kristups Sellenat eingetragen, 1861 im Heiratsregister der evangelischen Kirche Freystadt/Wpr. als Christoph Selleneit und 1912 in der Sterbeurkunde des Standesamtes Limbsee als Christoph Sellinat. Nach Kristups Sellinat tauchen in unserer Verwandtschaft keine litauischen Formen des Namens mehr auf.

 

  • Der Ursprung und die Wortbedeutung des Namens Sellennaitis ist nicht eindeutig zu klären. Für seine Herkunft gibt es verschiedene Deutungsmöglichkeiten: 

 

        • - Podehl (7) leitet den Ortsnamen Sellen vom prußischen Wort sòlis ‚Schritt’ ab. Das könnte lautlich der Fall sein, doch könnte es sich dabei genauso um eine Volksetymologie (8) handeln. 
      •  
                                              • - Bei dem ähnlichen Namen Selenis finden sich im Wörterbuch der litauischen Familiennamen (3) Verweise auf weißrussische Namen, deren Bedeutung mit „Einwohner“ zu tun hat. Der Buchstabe „S“ wird hierbei im Litauischen stimmlos ausgesprochen wie „weiß“. (9)
                                            •  
                                              • - Geht man jedoch vom stimmhaften „S“ wie etwa im Deutschen „sagen“ aus, so steht dafür im Litauischen der Buchstabe „Z“. Unter diesem Buchstaben finden sich im Wörterbuch der litauischen Familiennamen zahlreiche Familiennamen, die mit „Zelen-“ beginnen. Im Polnischen und Weißrussischen – aus diesen beiden Sprachen stammen die angegebenen Beispiele – hängt dieser Wortstamm mit „grün“ zusammen. Diese Namen tauchen jedoch nicht mit der Endung -aitis auf.Ebenfalls Magdalene Huelmann. (9)

 

In diese letzte Richtung geht auch Przybytek.Przybytek, Rozalia, Ortsnamen baltischer Herkunft im südlichen Teil Ostpreußens Bd. Sonderband, (Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 1993), S. 351. Sie nimmt bei der Erklärung des Ortsnamens Zielno, der im 16. Jahrhundert Sellen hieß, eine hybride Bildung Salwenen an, vgl. preußisch saligan, litauisch zole „Gras, Grün“ + mittelhochdeutsch winne „Ackerland“. Der daraus abgeleitete Personenname würde dann eine Bedeutung wie „Grünling“ oder ähnlich haben.

Die Ähnlichkeiten zwischen den baltischen und slawischen Sprachen, also dem litauischen/prußischen und dem polnischen, erklären Archäologen und Etymologen damit, dass Balten und Slawen schon zu Ende der letzten Eiszeit in Zentralasien Nachbarn gewesen sein müssen, wenn nicht sogar beide Völkerfamilien die etymologischen Wurzeln in der indo-europäischen Sprachenfamilie haben. Die Balten machten sich nach der Eiszeit zuerst nach Westen auf, wobei ein Teil nach Norden ging, sobald die Flächen eisfrei wurden. Die Slawen zogen erst sehr viel später nach, wobei die polnische Richtung mehr nach Westen ging und die Sorben bis zum Spreewald und die Wenden bis zur Lüneburger Heide gingen. Die Balten dehnten sich sehr weit nord-östlich aus (Moskau und Thorn) und besiedelten große Teile des heutigen Polen. Erst um die Zeitenwende wurden sie dann von den Slawen bedrängt. Die Polen eigneten sich nach und nach die süd-prußischen Gebiete an, und die Russen drängten die Litauer bis in das zemaitische Gebiet an der Küste. (10)

  • Ob nun die Familie Sellennaitis ursprünglich Litauer, Polen oder Weißrussen gewesen waren, wird sich daraus nicht ableiten lassen. Wesentliche Wanderungsbewegungen von Weißrussland nach Litauen oder in das nördliche Ostpreußen hat es nicht gegeben. (9) Aus Polen sind jedoch für die Zeit von 1384 bis 1519, und zwar insbesondere für die Zeit nach dem 2. Thorner Frieden 1466, zum Teil recht massive Zuwanderungen zumindest nach Masuren belegt. (11) Damit ist zu vermuten, dass die Familie Sellennaitis ursprünglich am ehesten entweder Litauer oder Polen waren.

 

 

  • Neben dem Namen Sellinat kommen in Deutschland ähnliche Namen vor, die auch auf den Ursprungsnamen Sellenaitis zurückgehen. Davon ist lediglich die Familie Sellinath über Kristups Selenat mit uns verwandt:
      • Sellinath (12)
      • Die Namensträger Sellinath gehören zu den in diesem Buch beschriebenen Nachkommen des Walluttis Sellenatis. Sie sind Nachkommen des Bruno Sellinath *25. Mai 1883, der ein Enkel von Kristups Selenat war. Es heißt, dass Brunos Name in einem Standesamteintrag versehentlich mit „h“ am Namensende verschrieben wurde.
      • Selleneit (13)
      • Diese Namensträger oder ihre Vorfahren sind deutlich später als Kristups Sellenait nach Westen gewandert. So berichtet ein Familienmitglied aus Rotenburg/Wümme, dass sein Vater noch in der Nähe von Tilsit geboren wurde.
      • Sellenat (14)
      • Im Raum Magdeburg lebt eine Familie Sellenat, deren Wurzel im ostpreußischen Kaukischken=Breitenstein, Kreis Tilsit liegt. Diese Familie hieß ursprünglich Sellenath, musste aber während der Zeit der DDR ihren Namen in Sellenat ändern.
      • Selnat
      • Mit dieser Familie Sellenat ist die inzwischen in ihrer Namenslinie erloschene Familie Selnat verwandt, die in Hambergen nördlich von Bremen lebte. Diese Familie war 1945 aus Kaukischken=Breitenstein, Kreis Tilsit nach Westen geflohen. Ihr Name war ursprünglich Sellenat und wurde über Sellnat nach Selnat geändert.

Sellenath (15)

In der Schweiz lebt eine Familie Sellenath, deren Vorfahren aus Szibben bei Heydekrug, ca. 20 km nördlich von Kaukehmen gelegen, kommen. Eine mögliche Beziehung zu den anderen Sellinat-Namensformen ist noch ungeklärt.

 

 


 

 

(1)Vgl. Fenzlau, Walter: Die deutschen Formen der litauischen Orts- und Personennamen des Memelgebietes (Halle/Saale: Max Niemeyer Verlag, 1936), S. 123.

(2) Vgl. Barran, Fritz R.: Atlas nördliches Ostpreußen: Königsberger Gebiet. In 27 deutschen topographischen Karten im Maßstab 1:100.000 mit russischen Ortsnamen 2. Aufl. (Leer: Verlag Gerhard Rautenberg, 1995), S. 22.

(3) Lietuvių Pavardzių Žodynas L -- Ž: Wörterbuch der litauischen Familiennamen (Vilnius: Mokslas, 1989, S. 695.

(4) Das ist der vom Namen des Vaters hergeleiteter Familienname.

(5) Dabei wird aus einem Doppellaut ein einfacher Vokal.

(6) Vgl. hierzu auch Fenzlau, Walter: Die deutschen Formen der litauischen Orts- und Personennamen des Memelgebietes (Halle/Saale: Max Niemeyer Verlag, 1936).

  • (7) Podehl, Hans Georg: 4444 ostpreußische Namen prußisch erklärt (Leer: Verlag Gerhard Rautenberg, 1987), S. 68.
  • (8) Volkstümliche, aber etymologisch falsche Herleitung eines unbekannten Wortes (Duden).
  • (9) Huelmann, Magdalene, Institut für Interdisziplinäre Baltische Studien an der Wilhelms-Universität Münster. Schriftl. 07.12.1998.
  • (10) Szillis-Kapellhoff, Beate, "Wanderungen der Balten und Slawen" (2001).
  • (11) Vgl. hierzu Gause, Fritz: Polnische Einwanderung in die Komturei Osterode nach dem 2. Thorner Frieden (1466). Altpreußische Forschungen 1, 1924, H. 2…, Hamburg, 1989.
  • (12) Im Telefonbuch Deutschland 2013 gab es 5 Einträge unter 'Sellinath', 2023 nur noch einen.
  • (13) Im Telefonbuch Deutschland 1999 gab es 23 Einträge unter 'Selleneit', 2013 noch 13, 2023 noch 9.
  • (14) Im Telefonbuch Deutschland gab es nach2013 keinen Eintrag mehr unter 'Sellenat'.
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