Niedergang

Eine neue, revolutionäre Entwicklung setzte nach dem Zweiten Weltkrieg sukzessive der Zinkblech-Mülltonnen-Ära ein Ende. Mit der zunehmenden Motorisierung stieg der Treibstoffbedarf, der nur mit Rohöl-Einfuhren gedeckt werden konnte. In den riesigen Raffinerien fiel aber bei der Rohöl-Raffination neben Benzin auch u. a. Heizöl an. Dieses fand in Deutschland in den Wohnhäusern zunehmend Verwendung, zumal das Heizen mit Öl viel bequemer zu bewerkstelligen war mit Briketts oder Koks.

Durch diese Umstellung fiel immer weniger Asche an und allmählich wurden die schweren Mülleimer aus Zinkblech entbehrlich. Zudem waren durch feuchte Abfälle bei der Entleerung der Mülleimer auf deren Boden immer schon durchfeuchtete Aschereste verblieben. Sie wurden dadurch nicht nur schwerer, sondern rosteten in den Falznähten durch. Dagegen bot sich nun Kunststoff anstelle von Blech als Material für Müllgefäße an, die nur Hausabfälle, aber keine heiße, gar glühende Asche mehr aufzunehmen hatten. Die meistverbreitete 110-Liter-Mülltonne wog in Stahlblech 25 kg, in Kunststoff aber nur sechs kg!

Um das Jahr 2000 gab es in einem Ausstellungsraum der damaligen Fa. Gebr. Otto KG in Buschhütten neben Müllbehältern verschiedener Hersteller auch eine schwarze Kunststoff-Mülltonne mit SM-Logo auf dem Deckel.29 Ob aber Schmidt & Melmer in den 1960er Jahren selbst noch Versuche mit Kunststoff-Mülltonnen unternahm oder fremd fertigen ließ, lässt sich bislang nicht feststellen.

Ende der Fa. Schmidt & Melmer

Nach der Auswertung der Akte eines Gesellschafters über seine Beteiligung an der Fa. Schmidt & Melmer von 1946-1986 war der Niedergang und das Ende der Fa. Schmidt & Melmer vor allem für die Arbeiter und Angestellten schmerzhaft. Für die Gesellschafter war er sicher enttäuschend und bitter, aber kein Totalverlust: Im Zuge der Liquidation wurden sie anteilsweise mit den Erlösen des verbliebenen Betriebsvermögens ausgezahlt. Danach ergibt sich das folgende Bild:

Bis Ende der 1940er Jahre lief das Geschäft von Schmidt & Melmer gewohnt erfolg­reich, die Gewinne waren gut. Für das Jahr 1950 kündigte die Geschäftsleitung am 6. Juni 1950 infolge des Ablaufs des Hauptpatents auf Müllgefäße am 31. Dezember 1949 einen Gewinneinbruch an. Ein „Anschlusspatent“ 30 aus dem Jahr 1949 an das Ende 1949 abgelaufene Hauptpatent für die einfachere Erneuerung defekter oder durchgerosteter Böden war kaum zukunftssichernd. Auch weitere kleinere Patente, die sich im Wesent­lichen auf den Boden der Müllgefäße aus Stahlblech bezogen und deren Lebensdauer verlängern sollten31, spielten keine Rolle mehr. Es setzte ein Abschwung ein, der über die 1950er Jahre anhielt.

Aus verschiedenen Berichten aus meiner Verwandtschaft schließe ich, dass in diesem Umfeld Schmidt & Melmer im Erfolg vergangener Jahrzehnte zu sehr gefangen war, um den kommenden und erforderlichen Wechsel von der Stahlblech- zur Kunststoffmüllton­ne zu erkennen. Man war bei den Kommunen gut eingeführt und von der Qualität der eigenen Produkte so überzeugt, dass man glaubte, sich keinerlei Sorgen um die Geschäfts­entwicklung machen zu müssen.

Ende der 1950er Jahre stand Schmidt & Melmer vor einer massiven Krise. Die Ge­schäftsleitung berichtet am 31. Oktober 1961: „Das Jahr 1960 schließt mit einem erheb­lichen Verlust ab, der jedoch im Jahr 1961 voll ausgeglichen werden konnte, und es läßt sich bereits jetzt voraussagen, daß das Jahr 1961 darüber hinaus mit einem beachtlichen Gewinn abschließen wird. [...] Eine entscheidende Änderung unserer Lage ist auf das Zusammenwirken verschiedener Umstände zurückzuführen. Insbesondere haben wir die Fertigung und Vertrieb verzinkter Geschirre völlig aufgegeben, da sich ergeben hat, dass dieser Zweig mit Verlust arbeitete. Der Umsatz in diesen Artikeln war in den letzten Jahren in der gesamten Branche rückläufig und daher erheblichem Preisdruck ausgesetzt. [...] Der Gesamtumsatz konnte trotzdem gegenüber dem vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres gesteigert werden, und es arbeiten nunmehr alle Abteilungen mit Gewinn, bei den Müllgefäßen war es möglich, die Preise anzuheben, und schließlich hat auch die Beschaffung einer neuen Presse mit 250 t Druck uns die Möglichkeit gegeben, Unterteile für Mülltonnen selbst zu fertigen, die wir bisher von auswärts beziehen mussten. Eine Verbesserung der Liquidität ist auch durch den Verkauf von Grundstücken, die der Firma und den Erben Melmer gehörten, an den Schulverband Weidenau-Klafeld eingetreten. [...] Die gegenwärtige Auftragslage ist zufrieden stellend, der Umsatz ist durch die Zahl der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte jedoch begrenzt. Der Behälterbau hat sich recht günstig entwickelt. Auch hier ist ein großer Auftragsbestand vorhanden. Leider haben wir nicht die Möglichkeit, den Behälterbau hier wirklich rationell zu gestalten, weil es dazu an geeigneten Räumen und Transporteinrichtungen fehlt. Da wir aber für die Zukunft eine günstige Entwicklung erwarten, haben wir ein Gelände in Kredenbach erworben, wohin der Behälterbau möglichst bald ausgelagert werden soll.“ 32 Dort wurde 1962/63 eine größere Halle errichtet, „in die die Abteilung Behälterbau umziehen soll, um dort in größerem Umfange weitergeführt zu werden.“ 33

Die Auswirkungen einer Geschäftspolitik, die zu lange an der Produktion von ver­zinkten Geschirren festgehalten hatte, traten offen zu Tage. Zu Anfang der 1960er Jahre herrschte jedoch noch Optimismus vor, die Lage wieder in den Griff zu bekommen, und es wurden entsprechende Entscheidungen wie der Bau der neuen Fertigungshalle für den Behälterbau getroffen. Für das Jahr 1961 konnten auch wieder Gewinne ausgeschüttet werden. Auf der Gesellschafterversammlung am 22. oder 23.11.1963 wurde dann 1962als das beste Geschäftsjahr in der Geschichte der Firma Schmidt & Melmer verabschie­det. Um diese Zeit war jedoch schon bekannt, dass dieses Ergebnis im Jahr 1963 bei weitem nicht erreicht werden konnte, weil zu Beginn des Jahres die Aufträge der Behör­den ausgeblieben waren. Dieser Ausfall wurde in einem Brief der Geschäftsleitung vom 19. August 1963 auf die finanzielle Belastung der Behörden infolge des harten Winters 1962/63 zurückgeführt.

Der Situation der Firma Schmidt & Melmer blieb weiterhin schwierig. Nach dem kurzfristigen Aufschwung Anfang der 1960er Jahre ging die Produktion wieder zurück. Auf der Gesellschafterversammlung am 8. April 1965 wird diese Entwicklung auf die besonderen Schwierigkeiten beim Absatz der Produkte, insbesondere der Müllgefäße zu­rückgeführt. Die Firma hatte Zahlungsschwierigkeiten und die Anmeldung eines gerichtlichen Vergleichsverfahrens in Erwägung gezogen.

Nach einem Schreiben der Geschäftsleitung verschärften sich 1967 die „Liquiditäts­schwierigkeiten“. Sie waren dadurch hervorgerufen worden, weil sich Städte und Ge­meinden in einem bisher nicht gewesenen Ausmaß mit Bestellungen zurückhielten und erhebliche „Unterbeschäftigung“ eine Folge davon war. Die finanzielle Decke der Firma war zu dieser Zeit vermutlich schon so dünn, dass eine Sanierung unmöglich schien und ein Vergleichsverfahren vorbereitet wurde.

In der Gesellschafterversammlung am 30. November 1968 wurde das Ende der Firma Schmidt & Melmer eingeleitet. Die Perspektiven der Firma waren offenbar so drama­tisch und aussichtslos, dass die Gesellschafterversammlung einstimmig die Einleitung einer stillen Liquidation beschloss. Danach sollten zunächst die Fremdgläubiger mit ih­ren Ansprüchen befriedigt werden und erst danach die der Gesellschafter. Zu diesem Zeitpunkt war das Werk Kredenbach bereits veräußert worden und Ende 1968 auch das in Hüttental-Weidenau, während der Maschinenpark in Weidenau noch nicht davon berührt war. Die Produktion im Stammwerk der Firma Schmidt & Melmer in Weidenau wurde nach der Niederschrift dieser Gesellschafterversammlung am 31. Dezember 1969 „durch die Einstellung des Gewerbebetriebes“ beendet - 2 Jahre vor dem 90-jährigen Geburtstag des Unternehmens. Alle Arbeitnehmer erhielten bis zum Schluss ihren Lohn, alle Rechnungen der Zulieferer wurden bezahlt.34 Das begründete wohl den Ruf von Anstand und Fairness der Firma Schmidt & Melmer auch während und nach der Phase der Liquidation.

Anschließend wurden die Auflösung der Gesellschaft und die Bestellung von Werner Schmidt als Liquidator zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet. Damit wurde die stille Liquidation in eine offene Liquidation übergeleitet. Als stellvertretender Liqui­dator und ggf. Nachfolger des Liquidators Werner Schmidt wurde Günter Quast bestellt.

In den dann folgenden Jahren wurden in Zuge der Liquidation die beweglichen und unbeweglichen Güter von Schmidt & Melmer verkauft.

In der Gesellschafterversammlung am 30 September 1978 wurde u. a. „die Aufgabe des mietfreien Archivkellers in Siegen-Weidenau, verbunden mit der Vernichtung aller dort liegender, nicht aufbewahrungspflichtiger oder aufbewahrungswürdiger Unterlagen“ beschlossen. Das erklärt, warum trotz verschiedener Recherchen aus der Verwandtschaft Schmidt heraus bei verschiedenen Personen und Verbänden außerhalb der Gesellschafter und ihrer Familien bislang keine Unterlagen der Firma Schmidt & Melmer ausfindig gemacht werden konnten.35

Die Liquidation wurde im Jahr 1987 abgeschlossen. Der Liquidationsüberschuss wur­de anteilmäßig an die Gesellschafter ausgezahlt.

Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass Schmidt & Melmer nach dem Aufstieg zum Weltmarktführer für die staubfreie Müllabfuhr wohl vorwiegend aus zwei Gründen un­tergegangen ist: Zum einen wurde zu lange an der Produktion von verzinkten Müllge­fäßen und Metallgeschirren festgehalten und der Umstieg auf Kunststoff verpasst, zum anderen war die Finanzdecke der Firma für eine Produktumstellung zu dünn.

Die Fa. Schmidt & Melmer war eine Kommanditgesellschaft KG gewesen. In Brief­köpfen und anderen Schriftstücken firmiert sie durchweg aber lediglich als „Schmidt & Melmer, Weidenau (Sieg)“. Im Handelsregister A beim Amtsgericht Siegen gibt es 2020 über die Fa. Schmidt & Melmer keine Akten mehr, alle Altakten sind inzwischen ver­nichtet.36 Es gibt nur noch einen knappen Digitaleintrag in der Datenbank für Schmidt & Melmer als Kommanditgesellschaft. Darin steht lediglich ein Eintragsdatum 3.7.1971 mit dem Hinweis „Beim Eintragungsdatum kann es zu systembedingten, fehlerhaften Angaben kommen!“. Als Löschungsdatum ist der 13. März 1987 eingetragen.

In der Nachfolge des Firmengründers Thomas Carl Schmidt und von Heinrich Mel­mer hatte es stets zwei Geschäftsführer gegeben, je einer aus den beiden Familien. Das ergibt sich aus einem Schreiben der Firma vom 2. Dezember 1955 an die Gesellschafter: „Der Tod unseres Geschäftsführers und persönlich haftenden Gesellschafters, Herrn Jo­hannes Melmer, erfordert traditionsgemäß die Bestellung eines zweiten Geschäftsführers. In diesem Falle ist derselbe aus dem Stamme Melmer zu wählen. Die Erben des Herrn Melmer und der Frau Martha Bohatec geb. Melmer sind übereingekommen, aus ihrer Mitte Herrn Dipl.-Ing. Alfred Quast als persönlich haftenden Gesellschafter und Ge­schäftsführer vorzuschlagen.“

Die Nachfolger von Thomas Carl Schmidt und Heinrich Melmer als Geschäftsführer waren:

 

Familie Schmidt   Familie Melmer
1870 - vmtl. 1899 Thomas Carl Schmidt   1880 - vmtl. 1911 Heinrich Melmer
vmtl. 1899 - vmtl. 1938 Robert Schmidt   vmtl. 1911 - 1955 Johannes Melmer
vmtl. 1938 - 1959 Alfred Schmidt   1955 - 31.1.1969 Alfred Quast
(auch Komplementär,
bleibt bis zum Ende
der Liquidation)
1959 - 25.9.1971 Werner Schmidt
(auch Komplementär)
 
25.9.1971 - 1987 Werner Schmidt
(Komplementär
und Liquidator)
 

 

Heute stehen noch einige der ehemaligen Betriebshallen von Schmidt & Melmer im Siegener Ortsteil Weidenau an der Straße Schneppenkauten 31. Sie werden aktuell 37 von der Humpel Spedition GmbH genutzt. Am neuen Standort in Kredenbach floriert nach wie vor die aus Schmidt & Melmer hervorgegangene Fa. VAKO Vakuumbehälter- und Apparatebau GmbH & Co. KG.38

 

 

Weiterlesen: 

→  Die Blechwarenfabrik Schmidt & Melmer, Weidenau (Sieg) - Pioniere der staubfreien Müllabfuhr

→  Aufstieg der Fa. Schmidt & Melmer   

→  Produktion von Müllgefäßen mit Es-Em-System in den 1950er Jahren

→  Die Auskunftsstelle für Müllbeseitigung

→  Auf dem Höhepunkt

Niedergang und Ende der Fa. Schmidt & Melmer


 

 

Anmerkungen:

29 Nach Josef Wiesmann, E-Mail an Matthias Schmidt 4.5.2020.
30 Karl Hirschner, Karl, Müllgefäß. Patent angemeldet durch Schmidt & Melmer in Weidenau, Sieg am 12.11.1949. Veröfentlichungsnr: 800836.
31 U. a.: Karl Hirschner, Karl, Mülltonne mit aus zwei Teilen zusammengesetztem Mantel. Patent angemeldet durch Schmidt & Melmer in Weidenau, Sieg am 16.10.1942. Veröfentlichungsnr: 880575.
Alfred Quast, Fußausbildung für Transportgefäße, insbesondere Mülltonnen. Patent angemeldet durch Schmidt & Melmer, Weidenau/Sieg am 6.12.1953. Veröfentlichungsnr: 926475.
32 Schreiben der Geschäftsleitung an die Gesellschafter vom 10.7.1962. Zum Werk Kredenbach s. oben Kap. 3.
33 Ebenda.
34 Nach Günter Althaus, in einem Telefonat mit Matthias Schmidt, 9. Juli 2020.
35 Davon ist die sog. Sammlung Erhard ausgenommen, die heute in der Fachbibliothek des Bundesumweltamtes in Dessau einzusehen ist (s. o.).
36 S. oben.
37 Im Jahr 2020.
38 Industriestr. 5, D-57223 Kreuztal, https://www.vako.net. Stand 8.5.2020.